Zu den Themen der Sozialphilosophie zählt die Geschäfts- und Arbeitswelt, aber jene betrachtet die Praxis summarisch, aus der Ferne. Dass in Unternehmen – das sind Firmen, Institutionen, Behörden – in Prozessen oder in freier Führung gearbeitet wird, bestimmt die Innensicht auf ihre sozio-ökonomische Wirklichkeit. Beispielhaft dafür sind Ereignisse, durch die sich Wertekosmos, Vertrauen, Elan, respektive Misstrauen, Konflikt, Fluktuation, Demotivation manifestieren. Die Aussensicht auf ein Unternehmen wird durch den öffentlichen Auftritt, die Kundschaft, die Produktequalität und die Qualität der Geschäftsbeziehung beeinflusst und entsprechend gestaltet.
Mit dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft haben sich bereits Thomas Hobbes und John Locke beschäftigt. Die Sozialphilosophie ist im 20. Jahrhundert in Betrachtung und Theorie eigenständig geworden. Doch sie ist, so Axel Honneth, schon in Jean-Jacques Rousseaus Philosophie angelegt. Seit Adams Smiths «Theorie der ethischen Gefühle» und David Humes «Traktat über die menschliche Natur», respektive «Untersuchung über den menschlichen Verstand», haben sich die sozio-ökonomischen Verhältnisse total verändert, auch im postindustriellen Zeitalter zulasten des Sozialen. Honneth subsummiert unter den «Pathologien des Sozialen» z.B. Entzweiung, Verdinglichung, Entfremdung, Nihilismus, Gemeinschaftsverlust, Entzauberung, Entpersönlichung, Vermarktung, kollektive Neurose[1].
Wenn Menschen miteinander reden, stützen sie sich auf ein Reservoir an fraglosen Selbstverständlichkeiten, das ist ihr Hintergrundwissen, zu dem sie als Ganzes nie kritisch Distanz nehmen können. Kulturelle Selbstverständlichkeiten, Hintergrundwissen, normative Gewissheiten u.ä. sind Träger der «Lebenswelt». Die Arbeits- und Geschäftswelt bildet, da zeitlich und konkret, den offensichtlichen Teil der «Lebenswelt». Jürgen Habermas sieht in der «Kolonialisierung der Lebenswelt» die Hauptursache für die zeitgenössischen Pathologien. Je nachdem welcher Typus der Reproduktionsprozesse gestört ist, verschiebt sich das «Krankheitsbild»: Es wechselt zwischen «Sinnverlust» der kulturellen Reproduktion, «Psychopathologie» der Sozialisation und «Anomie» der Sozialintegration.
Zur «Kolonialisierung der Lebenswelt» kommt es, argumentiert Habermas, wenn sie unter die Fuchtel der Systemimperative gerät, das heisst wenn «Formen ökonomischer und administrativer Rationalität in Handlungsbereiche» eindringen, «die sich der Umstellung auf die Medien Geld und Macht widersetzen, weil sie auf kulturelle Überlieferung, soziale Integration und Erziehung spezialisiert sind und auf Verständigung als Mechanismus der Handlungskoordinierung angewiesen bleiben»[2]. Geld und Macht als Mittel der Kolonialisierung der Lebenswelt sind von Habermas genannt, jedoch nicht das dritte Medium, das hier namhaft gemacht wird: «Management». Es ist das Paradigma der im 20. Jahrhundert ubiquitär gewordenen Geschäftsführung und -Organisation, welches nun die digitale Rationalität «vorantreibt».
© Lic. phil. Hans-Peter Fleury, 2017
[1] Axel Honneth: Pathologien des Sozialen. Tradition und Aktualität der Sozialphilosophie; in: Ders. (Hg.), Pathologien des Sozialen. Die Aufgaben der Sozialphilosophie, Frankfurt a.M. (Fischer) 1994, S. 51.
[2] Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1/1981, 4/1987, S. 488.
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