«Die Wahrheit beginnt zu zweien.»

 

Wer vor einem Dilemma steht und ihm beikommen will, stellt Fragen und strebt nach überzeugenden Antworten. Weil sie nichts mit Therapie und Ideologie zu tun hat, ebnet die philosophische Praxis den Weg zu den eigenen Antworten – es ist der Weg, der sowohl für die Privatperson als auch für die Führungsperson einer Firma oder Organisation geeignet ist und der hier vorgestellt wird.

Wird nach einer neuen Orientierung gesucht, hält man einen Rückzugsort dafür oft für wünschenswert. Doch auf so einer Insel trifft man zuerst auf mehr Fragen als noch vorher, dort unten an der felsigen Küste der Insel: «Ich bin doch auf meiner Insel, aber welcher Minotauros treibt hier sein Unwesen? Was für Gedanken treiben mich wie in einem Labyrinth umher? Wie komme ich diesem Minotauros bei?»

Wer sein Problem lösen will, stellt Fragen und will vernünftige Argumente erkennen. Dafür ebnet die philosophische Praxis den Weg, gerade weil sie konsequent mit Psychotherapie, Coaching, NLP, Heilslehre, Esoterik oder Religion nichts zu tun hat, sondern mit bewusster, methodischer Suche, Analyse und Erkenntnis. Die Aufgabe der philosophischen Praxis ist die konzentrierte Wahrheitssuche im Dialog, welche ein Problem ordnen und lösen hilft. Dabei geht die Denkarbeit an Inhalt und Sprache des Problems über in die Arbeit an Gedanken und Erkenntnis.

Kennzeichen philosophischer Praxis ist ihre Rückbindung an die philosophische Tradition: Themen und Probleme werden entweder mit spezifischen philosophischen Methoden betrachtet wie z.B. Argumentationsanalyse, Begriffsexplikation, kontrollierte Spekulation, Gedankenexperimente, fokussierte Reflexion. Oder Themen und Probleme werden dank der Lektüre in den philosophischen Zusammenhang hereingeholt, um sie klären und in neuer Perspektive betrachten zu können. Die Voraussetzung für die philosophische Beratung liegt beim Praktiker: seine dialogische Haltung, d.h. er bietet sich als kompetenten Gesprächspartner an, ohne Meinungen, Ideologien oder Theorien durchzusetzen.

Ein philosophischer Praktiker ist für eine Firma oder Organisation aus zwei Gründen interessant: durch seine Fähigkeit zur begrifflichen Analyse von Situationen und die so mögliche grössere Klarheit bei unternehmerischen Entscheiden und durch seine nicht-moralisierende Abklärung der ethischen Herausforderungen im Sinn eines gesamthaften Wohlergehens der Firma oder Organisation. Für Führungskräfte ist die lebensnahe philosophische Reflexion zudem als persönliches Fundament in der Arbeit und bei der Gestaltung des eigenen Lebens interessant.

In der philosophischen Praxis geht es primär um die Frage nach dem Tun (nicht nach dessen Sollen), welche zur Beförderung der Erkenntnis beiträgt. Auf diese Weise bildet der Philosoph als Berater des zu Beratenden den Analytiker von Entscheidungen, denen im Leben des zu Beratenden Bedeutung zukommt. Sie als Kunde und kybernetes, Ihr Lotse, sind Partner auf Zeit, und beide suchen, analysieren und argumentieren, bis die Ergründung schlüssig ist. Wie schon Friedrich Nietzsche sinngemäss sagte und Karl Jaspers aufgriff: «Die Wahrheit beginnt zu zweien.»[1]

 

© Lic. phil. Hans-Peter Fleury, 2017




[1]  Karl Jaspers: Philosophie und Welt. Reden und Aufsätze. München: Piper, 1958, 2/1963, S. 12.



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